(Foto: Anna Schwarz)
Boris Steinberg,
ein Chansonnier mit
Herz und Kopf,
setzt sich seit Jahren
schon für den
Fortbestand des
gesungenen Wortes
ein.
Im Berlin der 90er Jahre
sang er sich auf einen
festen Platz in der
Berliner Chansonszene.
Als Gründer und Ver-
anstalter des bundes-
weit größten Chanson-
festes, dem Chansonfest Berlin,
schaffte er für viele
Kollegen ein
Podium.
"Kathy
Kreuzberg: eine neue Kollegin, die mit ihren Liedern über
Liebe-Schmerz-Abgründe eine ganz besondere Atmosphäre schafft und dem
Chanson der Jetzt-Zeit etwas ganz Eigenes gibt." (Boris Steinberg beim "Salon Chanson"
im Grünen Salon d. Volksbühne Berlin)
Boris Steinberg persönlich kennenzulernen, war für mich eine besonders große Ehre - kannte ich seine Musik und seinen Einsatz für die Chansonmusik doch schon länger. Was folgte, warund ist mehr als der bloße Austausch von Worten und Musik (... und einem Tango mit mir bei einem GENERAT-Auftritt).
Wie kaum ein anderer Kollege versteht er, warum sich GENERAT trotz großer Besetzung und rockigen Elementen dem theatesken Kleinkunst-Genre namens Chansonzugehörig fühlt.Er weiß, was es bedeutet, für dieses Metier zu brennen, dessen musikalische Grenzen es immer wieder neu aufzubrechen gilt und dessen Überleben heute oft ein Kampf geworden ist.
Und so freue ich, Kathy, mich sehr, ihn hier als Gastschreiber im GENERAT-Blog begrüßen zu dürfen. - Monsieur Steinberg, darf ich bitten?
Boris Steinberg ESST MEHR CHANSONS!!!*
Die meisten Leute
denken, wenn sie das Wort Chanson hören, an einen Sänger oder Sängerin,
der oder die in einer Klavierbeuge lehnt, von einem Pianisten begleitet wird
und schwermütige Lieder
singt. Oder auch an einen Singenden, der sich auf seiner Gitarre begeleitet und
politische Lieder schmettert.
Doch Chansons
zeichnen sich nicht durch einen bestimmten musikalischen Stil aus. Chanson kann
auch ein Tango, ein Blues, ein Rocksong, einSchlager sein. Chanson ist
vielschichtig und in jeder Musikform verankert. Sind Chansons womöglich die
Wurzel, aus der alle Lieder erwachsen?
(Foto: Anna Schwarz)
Kathy Kreuzberg, Boris Steinberg, Gérôme Castell
„Ach du bist
Chanson Sänger?“
„Ja.“
„Chansons sind doch
so Lieder bei denen man zuhören muss?“
„Ja, und vom vielen
Zuhören wird man krank. Also, Achtung!“
Ein Chanson erzählt
in manchmal nur drei Minuten ein ganzes Leben, Anfang und Ende, Ebbe und
Flut, Geburt und Tod. Chansons sind Theaterstücke und Mini- Dramen. Man singt
sie, spielt und lebt sie.
Man gehört in
diesen Tagen, als Chanson-Sänger einer aussterbenden Spezies an und wird wie
ein noch lebender Dinosaurier beäugt:
„Wat, sowat jibt’s
noch? “
Als männlicher
Chanson-Sänger wird man obendrein oft als Jammerlappen, Softie oder
Schmusesänger abgestempelt. Männer singen bitteschön Rock oder Klassik, sind
politische Liedermacher oder Schlagersänger. Aber ein Chansonnier?
Chanson Sänger pur
wie Herman van Veen,Stephan Sulke, Klaus Hoffmann oder
Jo van Nelsen sind vielleicht auch deshalb eine Ausnahme.
Also Leute, stürzt
euch auf dieses letzte Genre der Musikszene, wo der künstlerische Aspekt noch
im Vordergrund steht:
ESST MEHR CHANSONS
!!!!
Lasst euch
verzaubern, hört Stimmen, die aus dem Leben, zumeist ihrem eigenen Gefühlsleben
singen, findet den einen und anderen Interpreten, und der singt womöglich genau
über DAS, was Euch gerade bewegt - und hört, wie euer Herz schlägt, weil
ihr berührt werdet, von Poesie, von Worten, Musik und einer Stimme.
* Text in ähnlicher Form auch in: Steinberg, Boris. Alles Chanson. Geistkirch Verlag 2008.
Nicolo Sommer:
Experimenteller
Musiker,
Künstler und Designer
aus Hamburg, lebt jetzt
in Berlin.
Er ist
ein Teil des Duos
Abject of Decay
(alternative rock/electronic/
experimentell) sowie
aktuell tätig mit dem
kollaborativem Projekt
BIINDS.
da sie eine genaue Vorstellung und
Vision ihres Projekts hatte.
Das Editieren und Schneiden des Videos
nahm etwas
mehr Zeit in Anspruch,
aber es hat sich gelohnt.''
(Nicolo Sommer über den Videodreh zu "Pokerspieler")
Es gibt Lieder, bei denen ist es schwer, die "Quelle" zu beschreiben - der "Pokerspieler" gehört zweifelohne dazu.
Das Lied entstand 2009 in Berlin. Um eine Idee für ein Trierer Sozialprojekt weiter auszubauen, arbeitete ich drei Wochen lang als Streetworker in der Hauptstadt, und hatte dadurch mit einer Vielzahl von wunderbaren Menschen zu tun, deren Hoffnungen und Sehnsüchte unter einer riesigen Steinplatte begraben (worden) waren - und die Tag für Tag 24 Stunden lang nichts anderes versuchten, als genau diesem unmenschlichen Druck zu entkommen, der sie nicht atmen ließ: Sie tranken. Sie spritzten Heroin. Sie starben. Im besten Fall nur innerlich. - Und ich war dabei.
Irgendwo dazwischen, zwischen A wie Alkohol, H wie Heroin und Z wie Zuversicht, lebt er also - der Buchstabe P wie Pokerspieler. Der Joker. Jene geheime Karte, die immer wieder zu Einsatz kommt, wenn es mal wieder heißt: Rien ne vas plus.
Es ist schwer, diesen "Joker-Geist" in Worte zu fassen - und noch schwerer ist es, Bilder dafür zu finden. Ich fand das Thema inTom Waits' "God's away on buisness"musikalisch wie visuell gut aufgegriffen und wählte dieses Video als Ausgangspunkt für den Videodreh zu GENERATs "Pokerspieler".
Das Drehbuch gab ich Nicolo Sommer, dessen feines Gespür für visuelle Zwischentöne ichschon vorabkennenlernen durfte und bei dem ich meine Ideen in guten Händen wusste.
Letztendlich blieb das Drehbuch selbst ein Ausgangspunkt: Erst Nicolo Sommers Bearbeitung ließ den "Pokerspieler" wirklich sichtbar werden. - Und erst kürzlich erreichte mich eine Mail eines Überlebenden von damals: "Gut, dass das auch mal SO gezeigt wird." ... Ich hoffe es. Ich weiß es aber nicht.
Rund um das Ostkreuz finden sich originellerweise gerade Zitate aus Tom Waits' Lied "Tango till they're sore".
Was das mit GENERATs Lied "Trompete" zu tun hat? - Die Antwort: Auch dieses Lied ist eigentlich ein Waits-Zitat, allerdings in Form einer musikalischen Hommage. Rhythmus, wiederkehrende Melodieläufe und spezielle Eigenarten wie z.B. das Runterstimmen des Schlagzeugs (in der Studio-Fassung) erinnern gezielt an den genialen "Papa Bad" - genauer gesagt an dessen "Misery is the river of the world".
Eben dieses Lied hatte ich nämlich in einer Nacht 2008 auf dem Rechner laufen - es war Bestandteil der "Woyzeck"-Inszenierung am Trierer Theater und ich sollte für die kommende Probe eine CD vorbereiten. Da der PC sich aber immer wieder aufhängte, dauerte das ganze Procedere etwas länger und so dudelte das Lied immer und immer wieder durch's Wohnzimmer, bis es schließlich als unfreiwilliger Ohrwurm in meinem Kopf gelandet war.
Zu dieser Zeit wohnte ich direkt über einer Kneipe, in der es zu später Stunde öfters zu alkoholbedingten Streitigkeiten kam. So auch in dieser Nacht. - Deren Verlauf muss ich, glaube ich, nicht weiter ausführen - das tragikomische Mysterium solcher Kneipennächte ist ja hinlänglich bekannt; und wird in "Trompete" 1x mehr besungen.
"I'll tell you all my secrets, but I lie about my past"
Trompete
(CD Requiem70)
Verruchte Gedanken
Verrauchtes Lokal
Verwohnte Gesichter
Ganz egal
Hier kann man doch atmen
Luftleerer Raum
Gemeinsam allein sein
Doch hier kein Traum
Gläsere Augen
Gläseres Glas
Verschwimmende Sinne
Gehassliebtes Nass
"Fall out (of) the window with confetti in my hair"
Die Nacht gibt den Handkuss
Wir ertrinken darin
Verbotene Blicke
Schon in dir drin
Offene Türen durch offenes Herz
Gebrochene Geister durchbrechen den Schmerz
Kreuze auf Deckeln entfesseln den Mut
Gelogene Worte
Oh, mir geht es gut
Doch Lost in Translation
Wir kennen's genau
Und Final Destination
Ist mehr als ne Schau
Brummende Töne zerfließen im Sand
Und plötzlich steht hier nichts mehr so
Wie's vorher noch stand
Doch die Trompete spielt ganz leise auf ihre Weise
Es tut mir leid. Oder eigentlich... nein, eigentlich tut es mir nicht leid. Und so muss ich Sie enttäuschen: Ich werde nichts Lustiges schreiben. Denn so sehr ich mich auch bemühen würde: Ich kann es einfach nicht. Ich wäre ein schlechter Komödiant.
Aber ich kann Sie beruhigen: Nein, ich hatte keine schwere Kindheit; nein, mich hat das Schicksal vermutlich nicht mehr gebeutelt als viele andere Menschen auch - und nein, ich habe all diese Geschichten in den Texten auch nicht selbst erlebt. Nicht immer zumindest.
Und doch gibt es sie, diese Geschichten. Sie kennen Sie eventuell sogar selbst: Die Lebenserzählungen, die nicht dazu gedacht sind, abzulenken. Und die jenseits des hochgeschätzten magischen Comedy-Zirkus existieren. Und die auch nichts gekonnt persiflieren. - Auch sie gehören im großen Genre der Kleinkunst besungen; und das Drama ist niemals nur Komödie.
So wie ein jeder seine Stärken und Schwächen hat, so liegt meine Stärke eben in der Beschreibung von menschlichen Abgründen in den "dunklen und glitschigen Ecken im dritten Hinterhof" (Gilles Chevalier 2012) des Lebens, immer verbunden mit dem nötigen Funken Hoffnung auf ein gutes Ende. Und nur dadurch, dass wir im Ensemble genau das tun und präsentieren, was wir am besten beherrschen, können die GENERAT-Programme den hohen Anspruch erfüllen, den wir als Ensemble wie auch Sie als Publikum verständlicherweise erwarten.
Wenn Theater und (besonders die Chanson-) Musik eine gemeinsame Aufgabe haben, dann die, dass es bewegen soll(te). - Ich kenne diesen Moment, und es macht mich trotz all des gesungenen Schmerzes auf der Bühne glücklich und stolz, wenn ich ihn - wenn ich Sie als Publikum - erreicht habe.
Nutzen Sie die vielfältigen Angebote des Theaters und der Musik, sich (zu) berühren und bewegen zu lassen. Lachen Sie - und geben Sie auch dem Weinen eine Chance. Das ist nur gesund. - Ich zumindest freue mich auf die kommenden Konzerte voller Chanson NOIR - und lade Sie herzlich dazu ein.
Inmitten einer Welt, so hasserfüllt und wortkarg Drängt sich ein Adam in seine Position Taucht hinab in einen normalen Strudel der Zeit Wird älter, aber nicht reifer Und hat trotzdem gelernt: Der Adam muss frei sein - und doch: Angepasst
(Genesis. CD Generat)
Seien Sie also hiermit herzlich willkommen im digitalen Zettelkasten des Chanson-Noir-Ensembles von
GENERAT. Hier finden Sie im Laufe der Zeit Liedtexte, Anekdoten, Interessantes
und Uninteressantes, Bekanntes und Unbekanntes über das "verstörende
Liedertheater" (Stephan Göritz im DtlFunk 2011) rund um Kathy Kreuzberg.